Über drei Jahrzehnte liegt der Fall zurück, jetzt gibt es ein Urteil: Der Mutter eines damals vierjährigen Jungen war gemeinschaftlicher Mord an ihrem Sohn vorgeworfen worden. Das Landgericht Hanau hat die Frau nun freigesprochen.

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Freispruch für Mutter von getötetem Vierjährigen

hessenschau vom 04.10.2022
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Im August 1988 soll die Anhängerin einer Sekte in Hanau (Main-Kinzig) ihren vierjährigen Sohn in einen Sack gesteckt, diesen über dem Kopf verschnürt und in die Obhut einer mutmaßlichen Sektenchefin gegeben haben. Dort soll das Kind dann erstickt sein. Nun, 34 Jahre später, hat das Landgericht Hanau die angeklagte Mutter vom Vorwurf des Mordes freigesprochen.

Kein Nachweis für Mord - weitere Vorwürfe verjährt

Die Vorsitzende Richterin begründete das Urteil damit, dass nicht nachgewiesen werden könne, dass die Mutter ihren Sohn kopfüber in einen Sack gesteckt und damit an der Tötung beteiligt gewesen war.

Sie habe den Sohn zwar nicht vor der menschenverachtenden, sadistischen Behandlung der mutmaßlichen Sektenchefin geschützt. Vorwürfe wie die Misshandlung von Schutzbefohlenen, fahrlässige Tötung oder die Verletzung der Fürsorgepflicht seien jedoch verjährt.

Gericht folgt Plädoyer der Verteidigung

Mit der Entscheidung folgte das Gericht dem Plädoyer der Verteidigung. Diese hatte einen Freispruch für die 61-Jährige gefordert, da der Junge nicht durch das Handeln der Angeklagten gestorben sei. Auch der Forderung der Verteidigung nach einer Entschädigung für den Freiheitsentzug schloss sich das Gericht an.

Scharfe Kritik übte das Gericht an der Staatsanwaltschaft. Sie sei nicht objektiv gewesen und habe dem Rechtsstaat geschadet. Die Staatsanwaltschaft hatte auf eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlichen Mordes sowie für einen neuen Haftbefehl gegen die Frau plädiert. Sie will das Urteil nun vom Bundesgerichtshof prüfen lassen.

Berichte über Gewalt im Haus der Sektenchefin

Während des gut einjährigen Prozesses hatten Zeugen von massiver physischer und psychischer Gewalt im Haus der heute 75 Jahre alten, mutmaßlichen Sektenchefin in Hanau berichtet. Die Frau soll der Mutter eingeredet haben, dass ihr Sohn die "Reinkarnation Hitlers, ein Machtsadist und von den Dunklen besessen" sei.

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Freispruch für Mutter eines erstickten Jungen

Verteidigerin Wiebke Otto-Hanschmann steht vor der Urteilsverkündung hinter der Angeklagten im Gerichtssaal.
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In ihrem letzten Wort vor Gericht hatte die Mutter eingeräumt, der mutmaßlichen Sektenchefin zwar vertraut zu haben - abhängig sei sie aber nicht von ihr gewesen. "Ich war keine willenlose Jüngerin, die alles mitgemacht hat", hatte sie gesagt.

Prozess gegen Sektenchefin in Frankfurt steht noch an

Die mutmaßliche Sektenanführerin war bereits vor rund zwei Jahren wegen Mordes in dem Fall verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung im Mai dieses Jahres allerdings auf und verwies das Verfahren zur weiteren Verhandlung an das Landgericht Frankfurt. Nach Angaben eines Gerichtssprechers steht ein Verhandlungstermin noch nicht fest.

Ermittler hatten den Tod des Jungen viele Jahre für einen Unfall gehalten, erst 2015 war der Fall nach Hinweisen von Sekten-Aussteigern wieder aufgerollt worden.

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